Lehrgebiet für Bioverfahrenstechnik (BioVT)

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Herausgeberschaft: Fokusheft "Bioraffinerien" der CIT 11/2020

Zusammen mit Martin Bertau (TU Freiberg) gibt Roland Ulber das Fokusheft "Bioraffinerien" der Chemie, Ingenieur, Technik 11/2020 heraus

Die Produktion nachwachsender Rohstoffe gehörte neben der Nahrungsmittelherstellung seit alters her zu den Hauptaufgaben der Landwirtschaft. Die Verdrängung landökonomischer Erzeugnisse, die nicht der Ernährung und Tierfütterung dienen, begann erst mit der industriellen Revolution in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ist gerade einmal etwas mehr als 150 Jahre her. Nachwachsende Rohstoffe haben somit einen Großteil der menschlichen Entwicklung geprägt. Neue Bedeutung bekommen sie durch die zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten dank moderner Technologien. Neben der direkten Nutzung in Form von Energie, Schmierstoffen, Verpackungsmaterialien oder Fasern spielt die biotechnische und/oder chemische Konversion in Rohstoffe für die chemische, pharmazeutische und kosmetische Industrie eine steigende Rolle. Die Gründe dafür sind sowohl ökonomischer als auch ökologischer Art. So erhofft man sich, dass nachwachsende Rohstoffe ihre fossilen Analoga in vielen Bereichen ersetzen können, um deren begrenzte Vorräte für nachfolgende Generationen zu schonen. Mittlerweile wird ein großer Teil der nachwachsenden Rohstoffe zu solchen Substitutionsprozessen herangezogen. Geht man davon aus, dass von der geschätzten jährlichen Biomasseproduktion von 170 Mrd. Tonnen durch Biosynthese 75 % Kohlenhydrate – hauptsächlich Cellulose, Chitin, Stärke und Saccharose –, 20 % Lignin und lediglich 5 % andere Naturstoffe wie Fette (Öle), Proteine und diverse Inhaltsstoffe sind, wird deutlich, dass ein Hauptaugenmerk auf einem effizienten Zugang zu den Kohlenhydraten, ihre Weiterverarbeitung zu chemischen Massenerzeugnissen und deren Veredlungsprodukten liegt. Bekannteste Beispiele für Produkte aus NaWaRo sind Biodiesel, Bioethanol und Biopolymere. Bei der Produktion von Grund‐ und Feinchemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen für verschiedenste Industriezweige sind Bernsteinsäure, 1,3‐Propandiol und Butanol zu nennen. Der ökologische Vorteil wird darin gesehen, dass aus Pflanzen gewonnene Produkte nach Gebrauch bei ihrer Verbrennung oder bei der Kompostierung immer nur die Menge CO2 freisetzen, die sie während des Wachstums der Atmosphäre entnommen haben. Im Gegensatz zu fossilen Rohstoffen sind sie dadurch weitgehend CO2‐neutral; die Stoff‐ und Energiekreisläufe sind formal geschlossen. Ihre Verwendung soll den sich verstärkenden Treibhauseffekt abmildern und globalen Klimaveränderungen entgegenwirken. Diese Ziele umzusetzen, fordert zunehmend die junge Generation von Politik, Industrie und der Gesellschaft ein. Die (Bio‐)Verfahrenstechnik hat sich diese Ziele schon vor Jahrzehnten zu eigen gemacht. Mit dem Konzept der „Bioraffinerie” entwickelt sie neue Methoden und treibt deren Umsetzung in der Industrie voran. Durch fortwährende biotechnologische und chemische Prozessinnovation, Schaffung eines günstigen politischen und gesellschaftlichen Umfeldes und effizienten Einsatz von molekularbiologischen Methoden entstehen zunehmend auch industrielle Bioraffinerie‐Anlagen. Die im Vergleich zu fossilen Rohstoffen ungleich größere Heterogenität der Einsatzstoffe erzwingt gänzlich neue Herangehensweisen. In diesem Themenheft der Chemie Ingenieur Technik werden verschiedenste Aspekte dieser Entwicklungen beleuchtet. Dabei werden sowohl verschiedenste Rohstoffquellen als auch verfahrenstechnische Varianten der Umsetzung nachwachsender Rohstoffe vorgestellt. Die Beiträge machen nicht nur deutlich, inwiefern eine Umstellung auf eine Bioökonomie eine gangbare Alternative zum jetzigen „Erdölzeitalter” sein kann, sondern sie zeigen auch, dass eine Teilsubstitution fossiler Stoffströme durch nachwachsende Rohstoffe unter ökonomischen Gesichtspunkten bereits heute machbar ist. Nichtsdestotrotz wird ein langer Atem notwendig sein. Die Entwicklung leistungsfähiger Technologien zur wirtschaftlichen Umstellung fossiler auf nachhaltige Prozesse ist eine der großen Zukunftsaufgaben der modernen (Bio‐)Verfahrenstechnik. Denn eines ist klar: Eine Substitution fossiler Rohstoffe in der Raffinerietechnik bedeutet die Produktion klassischer Raffinerieprodukte, also Grundstoffchemikalien, auf Basis der zur Verfügung stehenden Biomasse. Dies ist der Anspruch, an dem die Bioraffinerie gemessen werden wird. Die Einbindung nachwachsender Rohstoffe in die chemische Produktionstechnik kann nicht von heute auf morgen, sondern nur schrittweise gelingen. Dieses Themenheft soll Ihnen aufzeigen, was bereits erreicht wurde und welche Richtung die Technologieentwicklung nehmen wird.

M. Bertau, R. Ulber; Bioraffinerie - Editorial, Chem.-Ing.-Tech. 92/11 (2020) 1639, https://doi.org/10.1002/cite.202071102

Wissenschaftlicher Beitrag im Fokusheft:

J. Weiermüller, A. Akermann, T. Sieker, R. Ulber; Bioraffinerien auf Basis schwach verholzter Biomasse; Chem.-Ing.-Tech. (2020) DOI: 10.1002/cite.202000070   

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